Katholik, Kommunist und Homosexueller, wie kein zweiter vereinte Pier Paolo Pasolini die Widersprüche im Nachkriegsitalien. Obwohl er am 5. März vor 100 Jahren im Herzen der Emilia-Romagna, in Bologna als Sohn eines Berufsoffiziers und einer Volksschullehrerin geboren wurde, erfolgten seine grösste Prägung im ländlichen friaulischen Provinzstädtchen Casarsa della Delizia. Dort verbrachte er regelmässig seine Schulferien bei seinen Grosseltern mütterlicherseits. Dort sollte auch seine frühe berufliche Laufbahn als charismatischer Volksschullehrer seinen Anfang nehmen.
Nach falschen Anschuldigungen einiger Schüler wegen homosexueller Handlungen musste er Casarsa verlassen und er ging mit seiner Mutter in die ewige Stadt Rom. Hier erst wurde der Künstler Pasolini geboren. Um zu überleben, schrieb er Gedichte und Romane und entdeckte vor allem den Film aus Ausdrucksmedium.
Der Prophet der Verzweiflung
Wegen seiner sexuellen Orientierung und einem Hang zu bürgerlicher Dekadenz aus der KPI ausgeschlossen, suchte Pier Paolo Pasolini seinen eigenen Weg der kämpferischen Sozialkritik. In Romanen wie Ragazzi di Vita oder Una vita violente widmete er sich den Jungs aus dem römischen Subproletariat, die er liebte, auch wenn ihm das Proletariat als Klasse fremd blieb. Berühmt machten Pasolini in den 1960er-Jahren aber seine Filme. Es war die Zeit des sog. Neorealismus. Die Tristesse der italienischen Vorstädte wird gezeigt, wie sie ist, ohne Beschönigung. In seinen beiden Filmen Mamma Roma und Accattone ist es die Tristesse der römischen Peripherie.
Assistent bei seinem ersten Film Accattone war übrigens Bertolucci, mit dem Pasolini im selben Haus in Rom wohnte. Jeden Morgen nahm er ihn mit zum Dreh, in seinem Alfa Romeo, und auf der Fahrt erzählte er ihm die Träume der vorhergehenden Nacht. Später, als sie an benachbarten Drehorten im Norden Italiens gleichzeitig ihre Filme Novecento und Salò drehten, haben die beiden Film-Teams abends Fußball gegeneinander gespielt.
Es ist besser, die Menschen zu Feinden zu haben als die Götter
Das Kino war ein archaisches Feld für ihn. Die grossen Mythen interessierten ihn, die der vergessenen Jungs der römischen Vorstädte, später dann die der grossen antiken Sagen, Ödipus oder Medea. Darin spielt Maria Callas, die den Stoff von der Oper her kannte, eine Matriarchin, die leidenschaftlich begehrt und vornehm-kühl Menschenopfer überwacht.
Zu der Zusammenarbeit kam es in der Lagune von Grado, wo die Callas und Pasolini gemeinsame Bootsausflüge unternahmen und sich anfreundeten. Eine Begegnung zweier sensibler und sehr zerbrechlicher Seelen. Callas hatte gerade die Trennung von Onassis hinter sich und Pasolini holten die melanchloisch-wehmütigen Erinnerungen seiner Jugendzeit in Friaul ein. Erzählt wird diese Begegnung in dem schönen Dokumentarfilm L'isola di Medea.
Spätere Filme wie Il fiore delle mille e una notte oder Salò o le 120 giornate di Sodoma, nach dem Roman von de Sade, wurden seitens des bürgerlichen Italiens wegen ihrer Blasphemie, Pornografie und Gewalt heftigst attackiert. Wie kein anderer italienischer Künstler der Nachkriegszeit provozierte Pasolini bewusst den Hass seiner Zeitgenossen. Dass sein kompromissloses Künstlertum, seine unverrückbare moralische Haltung, sein heftiges erotisches Begehren ein gewaltsames Ende erfuhren, macht ihn zum Heiligen. Gestorben aber ist er wie ein Hund. Im November 1975 wurde er am Strand in Ostia bei Rom brutal umgebracht, der Mord ist bis heute nicht restlos aufgeklärt.