Procida ist die unbekannteste unter den kampanischen Inseln. Da gibt es das berühmte Capri mit der Blauen Grotte und den edlen Boutiquen. Ischia mit seinen Thermalbädern und der Festung Castello Aragonese. Und dann ist da dieses kleine bunte Procida mit der Farbenvielfalt eines Pelikan Malkastens im schulbuchmässigen Kontrast zum azurblauen Golf von Neapel. So viel Farbigkeit gilt belohnt zu werden. Procida ist 2022 italienische Kulturhauptstadt.
Fussgänger Insel
Die Insel ist vulkanischen Ursprungs, gerade mal vier Quadratkilometer gross und weist nur 16 Kilometer Küstenlänge auf, die von hohen Felswänden und langen schmalen Stränden aus schwarzem Vulkansand geprägt ist. Gut 10 Tsd Procidani machen die Insel zu einer der am dichtest besiedelten des Mittelmeers. Dadurch fehlen aber auch bebaubare Flächen, die die Insel vor Massentourismus bewahrt haben. Grosse Hotelanlagen fehlen ebenso, wie die sonst überall anzutreffenden Hinweisschilder in deutsch.
Aufgrund der überschaubaren Grösse lässt sich die Insel gut zu Fuss erkunden. Der ausfransende Küstenverlauf bietet zahlreiche Punte - Aussichtspunkte. So liegt am Punta dei Monaci das Kloster Santa Margherita Nuova so spektakulär schön, dass spontan ein Klostereintritt zumindest als Möglichkeit in Betracht käme.
Wer spirituelle Mühen meiden und dafür bereit ist, sie gegen körperliche abzutauschen, der findet einen nicht ebenso wenig atemberaubenden Ausblick am Terra Murata, der mit 90m höchsten Erhebung der Insel. Zu Füssen liegt ein azurblauer Teppich, der bis zur sorrentinischen Halbinsel ausgerollt ist. Bei klarem Wetter ist die Silhoutte des Vesuv erkennbar.
Im Schatten von Capri
Der Aussichtspunkt wurde erst vor wenigen Jahren in Belvedere Elsa Morante umbenannt. Die römische Schriftstellerin hat mit ihrem Roman Arturos Insel Procida ein literarisches Denkmal vermacht. In dem Klassiker der italienischen Nachkriegsliteratur wird Procida noch als eine karge Insel, die schutzlos der glühenden südlichen Sonne ausgesetzt ist, beschrieben. Mit dem einsetzenden Ruhm, den die berühmte Schwester Capri auf Procida abstrahlte, kam zunehmend der Tourismus und damit das Geld.
Doch vom Rummel der Nachbarinseln ist Procida immer noch verschont geblieben. Auf dem Weg ins Innere finden sich einsame, von alten Mauern umschlossene Meerengen, hinter denen Obst- und Weingärten liegen. Wer noch mehr Stille sucht, den bietet die mit reichhaltigem Barock ausgestattete Abtei San Michele Arcangelo, ursprünglich ein Benediktinerkloster, einen Rückzugsort. San Michele ist der Schutzpatron von Procida. Man könnte ihn auch den Schutzpatron der Auszeitsuchenden nennen.
Italien wie früher
Procida zeichnet eine Ästhetik des Stillstands aus, die eine perfekte Kulisse für Fluchten aus dem Alltag bildet, sowohl reale wie auch jene fiktiven des Films. Wenig an Requisiten braucht es daher, um das Flair der Fifties heraufzubeschwören. Im September 1998 weilte die Erfindung von Patricia Highsmith, der talentierte Mr. Ripley, verkörpert durch Matt Damon, auf Procida und flanierte mit der blonden Gwyneth Paltrow als Marge durch die Gassen.
Der Fischerhafen Corricella, auf der Südseite der Insel, bildete eine die noch berühmtere nostalgische Kulisse für die Romanze Il postino. Der Film schildert die Begegnung des chilenische Dichters Pablo Neruda, der in den 50er auf Procida im Exil lebte, mit dem Postboten Mario Ruoppolo. Die beiden Männer freunden sich an und Pablo gibt Mario Einblicke in die Welt der Poesie. Der Postbote findet immer mehr Gefallen daran und will mithilfe der Poesie das Herz der schönen Beatrice für sich gewinnen. Unvergesslich bleibt, wie Beatrice die steilen Treppen zum Quai hinuntersteigt, während sich die beiden begegnen.
Das Burano des Südens
Überhaupt Kulissen. Die schönste ist die Marina die Procida, dort wo die Fähren vom Festland und den Nachbarinseln ankommen. Seine bunte Häuserfront gibt der Insel ihr unverwechselbares Gesicht, das ein wenig an die Venediginsel Burano erinnert. Schon weit draussen vom Meer leuchten sie wie bunte Legohäusen am Horizont. Ihre Farbigkeit verdanken die Häuser diesem Umstand. Die Fischer wollten früher schon aus grosser Ferne ihr Haus ausmachen. Heute fahren noch rund dreihundert Fischer aufs Meer hinaus. Die nachts gefangenen Crevetten und Sardinen werden frühmorgens auf dem Fischmarkt von Pozzuoli verkauft, um am Mittag als Pasta alla pescatora auf den Tellern der Trattorien zu landen.
Noch wird der Kampf um die Plätze fürs Mittag- oder Abendessen unter den meist italienischen Touristen ausgefochten. Im kommenden Jahr dürfte sich das vermutlich ändern, wenn Procida als italienische Kulturhauptstadt aus seinem touristischen Dornröschenschlaf gerissen wird.