Mina, Milva und Orietta Berti waren die drei Grazien der Canzone italiana in den 60er und 70er Jahren. Nun ist die 77jährige Orietta zurück mit zwei neuen Grazien, wenig damenhaft dafür umso erfolgreicher: die beiden Rapper Fedez und Achille Lauro. Ihre Zusammenarbeit beschert Italien einen Sommerhit, der es vermag die Schwere der vergangen 15 Monate abzuschütteln. Von Mailand bis Palermo singen alle „Mille“, filmen sich dabei und fluten zur Abwechslung das Netz mit positiven Emotionen.
Der Beginn des Sommermärchens
Entstanden ist die Idee im Februar beim Festival di Sanremo. In Abwesenheit des Publikums und der Adabeis blieb viel Zeit, über eine Zusammenarbeit nachzudenken. Als Musenküsser fungierte der Filmemacher Francesco Vezzoli. Der Mailänder hat bereits Videos für Lady Gaga gedreht und weiss Stars in Szene zu setzen. In Anlehnung an „Die drei Grazien“ des französischen Malers Émile Vernon (1872-1920) entstand das Gesamtkunstwerk „Mille“. Das im sommerlichen, unbeschwerten Sixties-Flair gehalten Video verströmt reichlich Flower-Power und erinnert an die Leichtigkeit der Kultfilme von John Travolta und Olivia Newton John.
Schicksalsort Sanremo
Es dürfte wenige Stars geben, die in Sanremo so oft aufgetreten sind, wie die aus der Provinz Reggio Emilia stammende Orietta Berti. 12 mal sang sie im Teatro Ariston, gewonnen hat sie leider nie, dafür einiges erlebt. Etwa 1966 als sie mit „Io ti darò di più“ antrat. Zu der Zeit waren Toupets angesagt. Sie trug seltsame, hochgebundene Locken, sang das ganze Lied mit schiefem Toupet, und wagte nicht ihren Kopf zu bewegen, damit das Toupet nicht herunterviel. Legendär ist ihre Kostümsammlung wie das berühmte gestreifte Kleid von Mila Schön, Spross einer Habsburger Aristokratenfamilie und Star der Mailänder Modewelt. Das Kleid war damals Tagesgespräch und die Presse spottete, die Streifen wirken wie eine Autostrada.
Orietta erlebte in Sanremo aber auch einer der schwierigsten Momente ihres Lebens: 1967 gelangte sie mit „I'o, tu e le rose“ in die finale Runde von Sanremo. Mitbewerber Luigi Tenco begann Selbstmord, nachdem er erfahren hatte, das er nicht fürs Finale qualifiziert war. In seinem Abschiedsbrief zitierte er aus Oriettas Lied. "Ich mache das nicht, weil ich lebensmüde bin, sondern als Protest gegen ein Publikum, das ‚I'o, tu e le rose' ins Finale schickt". Gewonnen hatte am Ende auch Orietta nicht, sondern ein anderer, doch das war in dem Moment unwichtig.
Quando ti sei innamorato
Über den Schock half ihr Osvaldo Paterlini hinweg, den sie im selben Jahr heirate, der sie auch zeitweise managte, und mit dem sie bis heute zusammen ist. Kennengelernt hatten sie sich auf einem Rummel. Allerdings war sie es, die die Initiative ergriff. Bei der Einladung zu ihr nach Hause, verordnete Oriettas Oma dem schmächtigen Osvaldo einen Kakao, denn Kaffee mochte er nicht. Der Kakao, infolge dann von Orietta zubereitet, bleib fester Bestandteil ihrer mittlerweile 55 Jahre währenden Ehe.
Es gibt kein Gespräch, das Orietta Berti nicht mit "Osvaldo und ich" beginnt oder endet. Nur Osvaldo, ohne Nachnamen oder andere Zusätze. Und so konnte die Sängerin aus Cavriago zum diesjährigen Sanremo-Festival nur mit einen Lied zurückkehren, das auch von Osvaldo handelt. „Quando ti sei innamorato“ (Wenn du dich verliebt hast) ist die Geschichte ihrer Liebe. "Es erzählt von einer Begegnung, die zur Leidenschaft wird, einer Leidenschaft, die ein Leben lang anhält, so wie es bei uns der Fall war", verriet sie am Vorabend des Festivals.
Al Bano sagt "Ja"
Dann erzählt Orietta auch noch diese kuriose Anekdote aus ihrer Ehe. Bei der Hochzeit damals war Osvaldo so aufgeregt, dass er nicht "Ja" sagen konnte. "Osvaldo hat nur mit dem Kopf genickt, aber der Priester hat es für gut befunden". Doch der beste Teil der Geschichte ereignete sich ein wenig später. Als eine Aufzeichnung der Hochzeitszeremonie im Fernsehen übertragen werden sollte, gab es kein "Ja" von Osvaldo. Zufällig war auch Al Bano im TV-Studio, den sie baten, es einzusprechen. Die sprachlos machende Ehe brachte zwei Söhne hervor: Omar und Otis.
Mag der diesjährige Sanremo-Auftritt der mittlerweile Oma gewordenen Orietta einen zweiten Frühling beschert haben, bevorzugt sie das zurückgezogene Leben in ihrer prachtvollen Villa nicht unweit ihres Heimatortes Regio Emilia. Um dort Zeit mit ihrer Kostüm- und Schlumpfsammlung – angeblich einer der grössten Italiens - mit ihren Osvaldo und ihren Kinder und ihrem Enkelkind zu verbringen. Das wurde übrigens auf dem Namen Olivia getauft. Damit konnte die Familientradition von Vornamen, die mit dem Buchstaben "O" beginnen, erfolgreich fortgeführt werden.